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Qumran: Schriftrollen vom Toten Meer sind älter als bisher angenommen

Groningen (Niederlande) – Seit ihrer Entdeckung im Jahre 1947 Jahren faszinierend die „Schriftrollen vom Toten Meer“ als vermeintlich älteste erhaltene Schriften des antiken Judentums und der Urchristen. Eine aktuelle Analyse zeigt nun, dass einige der Pergamentfragmente aus Qumran noch älter sind, als bislang angenommen.

Ein Fragment der Schriftrolle 28aCopyright: Dr Osama Shukir Muhammed Amin (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 4.0
Ein Fragment der Schriftrolle 28a
Copyright: Dr Osama Shukir Muhammed Amin (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 4.0

Wie das internationale Team um Prof. Mladen Popović von der Universität Groningen aktuell im Fachjournal „PLoS ONE“ (DOI: 10.1371/journal.pone.0323185) berichtet, sind viele der Schriftrollen vom Toten Meer älter als bislang gedacht. Darüber hinaus scheinen zwei Fragmente der biblischen Schriftrollen tatsächlich sogar aus der Zeit ihrer vermuteten Verfasser zu stammen. Die nun publizierte Forschungsarbeit kombinierte Radiokarbondatierung, Paläographie und Künstliche Intelligenz in einem noch genaueren Datierungsmodell.

Hintergrund: Die Schriftrollen vom Toten Meer
Die Schriftrollen wurden zwischen 1947 und 1956 von Beduinen-Hirten in den Höhlen nahe Qumran am Toten Meer entdeckt. Dabei handelt es sich um teilweise in Tonbehältern bewahrte Schriftrollen aus der Zeit des antiken Judentums und der Urchristen. Unter anderem beinhalten die Schriftrollen die älteste, fast vollständig erhaltene Kopie des Buches Jesaja. Die meisten Schriften werden der Glaubensgemeinschaft der Essener zugeschrieben, die für ihre strengen Glaubensregeln und den Glauben an eine bevorstehende Apokalypse bekannt sind.

Blick auf die archäologische Ausgrabungsstätte von Qumran.Copyright: A. Müller für grewi.de
Blick auf die archäologische Ausgrabungsstätte von Qumran.
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Bisherige Datierung schwierig

Während die Entstehung der Schriftrollen im Allgemeinen auf die Zeit vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr. datiert wird, konnten einzelne Manuskripte bisher nicht zuverlässig datiert werden.

Bislang beruhte die Datierung einzelner Manuskripte vor allem auf der sogenannten Paläographie. Die Wissenschaft von alten Schriften untersucht die Entwicklung, Form und Merkmale historischer Handschriften, um deren Alter, Herkunft und Entstehungskontext zu bestimmen. Allerdings fehlt diesem Verfahren eine solide empirische Grundlage. Ein Problem: Für die meisten Schriftrollen vom Toten Meer fehlt ein bekanntes Entstehungsdatum, und vergleichbare datierte Manuskripte gibt es kaum. Zwischen wenigen datierten Funden aus dem 5.–4. Jh. v. Chr. und dem späten 1.–frühen 2. Jh. n. Chr. klafft zudem eine Lücke, die eine genaue Datierung der über tausend Schriftrollen bislang verhinderte.

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Enoch: Ein neues Datierungsmodell

Mit dem als „Enoch“ bezeichneten Modell gelang es den Forschenden im Rahmen des ERC-Projekts „The Hands That Wrote the Bible“ (Die Hände, die die Bibel schrieben) erstmals, diese Lücke zu schließen. Hierzu nutzen die Forschenden eine Kombination aus Radiokarbondaten von 24 Rollenproben und einer paläographischen Analyse, bei der ein maschinelles Lernmodell (KI) auf Basis einer bayesschen Ridge-Regression-Methode zum Einsatz kam. „Die neuen Radiokarbondaten stellen verlässliche, empirische Zeitmarker dar, die die paläographische Lücke zwischen dem vierten Jahrhundert v. Chr. und dem zweiten Jahrhundert n. Chr. überbrücken. Sie liefern ein objektives Datum für die Schreibstile der untersuchten Manuskripte.“

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Präzisere Ergebnisse

Anhand der neuen Daten trainierten die Forscher Enoch und nutzten hierzu ein zuvor intern entwickeltes Deep-Learning-Netzwerk zur Erkennung von handschriftlichen Tintenmustern, BiNet, in digitalisierten Manuskripten. Dies ermöglicht eine anschließende geometrische Formanalyse auf Mikroebene der Tintenlinien, etwa hinsichtlich ihrer Krümmung (sogenannte texturale Merkmale), sowie auf der Ebene der Zeichenformen (sogenannte allographische Merkmale). „Damit wird eine quantitative und empirisch fundierte Basis für die Stilanalyse von Handschriften geschaffen, die die traditionelle Paläographie nicht bieten kann.“ Eine Kreuzvalidierung zeigte anschließend, dass Enoch Radiokarbondaten auf Basis des Schriftstils mit einer Unsicherheit von etwa ±30 Jahren vorhersagen kann. „Dies ist sogar präziser als direkte Radiokarbondatierungen im Zeitraum von 300 bis 50 v. Chr.“

„Enoch ist das erste vollständige KI-basierte Modell, das Rohbilddaten nutzt, um probabilistische Datierungsvorhersagen für handgeschriebene Manuskripte zu liefern“, erläutern die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

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Älter als bisher angenommen

Erste Ergebnisse der Enoch-Datierungsvorhersagen belegen nun, dass viele der Schriftrollen vom Toten Meer älter sind als bislang angenommen. Dies verändere auch die wissenschaftliche Einschätzung zur Entwicklung zweier antiker jüdischer Schriftstile, der sogenannten „hasmonäischen“ und „herodianischen“ Schrift. „Konkret könnten Manuskripte in hasmonäischem Schriftstil älter sein als die derzeitige Schätzung von ca. 150–50 v. Chr. Zudem trat die herodianische Schrift offenbar früher in Erscheinung als bisher angenommen, was darauf hindeutet, dass beide Schriftstile bereits seit dem späten zweiten Jahrhundert v. Chr. nebeneinander existierten – und nicht erst seit der Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr., wie es die vorherrschende Meinung bisher war.“

Bedeutung für die Forschung

Die neue Chronologie der Schriftrollen habe „erhebliche Auswirkungen auf unser Verständnis der politischen und intellektuellen Entwicklungen im östlichen Mittelmeerraum während der hellenistischen und frühen römischen Zeit (spätes viertes Jahrhundert v. Chr. bis zweites Jahrhundert n. Chr.)“, so die Forscher. „Sie ermöglicht neue Erkenntnisse zur Schriftkultur im antiken Judäa im Zusammenhang mit historischen, politischen und kulturellen Entwicklungen wie der Urbanisierung, dem Aufstieg der Hasmonäer-Dynastie sowie dem Aufstieg und der Entwicklung religiöser Gruppen, darunter jene, die hinter den Schriftrollen vom Toten Meer standen, und die frühen Christen.“

Verfasser der Bibel

Darüber hinaus zeige die Studie, dass „4QDanielc“ (4Q114) und „4QQoheleta“ (4Q109) die ersten bekannten Fragmente eines biblischen Buches darstellen, die tatsächlich aus der Zeit ihrer vermuteten Verfasser stammen. Zwar ist nicht bekannt, wer genau das Buch Daniel vollendet hat, doch die gängige Annahme ist, dass dies in den frühen 160er Jahren v. Chr. geschah. Ebenso gehen Wissenschaftler davon aus, dass das biblische Buch Kohelet (Prediger) von einem anonymen Verfasser aus der hellenistischen Zeit (drittes Jahrhundert v. Chr.) stammt – und nicht, wie es die Überlieferung will, von König Salomo aus dem zehnten Jahrhundert v. Chr.

„Unsere neuartige Radiokarbondatierung für „4Q114“ und die Enoch-Datierungsvorhersage für „4Q109“ bestätigen nun, dass diese Manuskripte tatsächlich in die Zeit dieser anonymen Verfasser aus dem zweiten bzw. dritten Jahrhundert v. Chr. gehören“, erläutert Popovic abschließend. „Somit bieten diese Ergebnisse nun erstmals die Möglichkeit, greifbare materielle Zeugnisse der Hände zu untersuchen, die die Bibel geschrieben haben.“

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Recherchequelle: Universität Groningen

© grenzwissenschaft-aktuell.de

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Andreas Müller
Fachjournalist Anomalistik | Autor | Publizist
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